Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

 

Erwählung heißt: Jesus meint mich, genau mich

Predigt über Johannes 15,14-17


Liebe Gemeinde,

vor 14 Tagen habe ich über einen Text aus Johannes 15 gepredigt. Bei der Vorbereitung bin ich auf eine Geschichte gestoßen, die ich wunderbar finde. Sie legt einen dieser Verse anschaulich aus. Diese Erzählung passte aber überhaupt nicht zu den Gedanken der anderen Predigt, musste also draußen bleiben. Ich möchte diese Geschichte aber gerne hier Ihnen erzählen. Daher hören wir noch einmal einige Verse aus Johannes 15:

»Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.

Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.

Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er´s euch gebe.

Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.«

Und nun die Geschichte.

Ein Pfarrer erzählt:

Bei ihm um die Ecke wohnt eine Rentnerin, Frau Müller. Die beiden mögen sich, und ab und zu, wenn sie sich begegnen, halten sie ein Schwätzchen miteinander. Und eines Abends, kurz vor Geschäftsschluss, kommt Frau Müller dem Pfarrer auf der Straße mit prall gefällten Einkaufstaschen entgegen, und sie ist so in Eile, dass sie fast an ihm vorbeiläuft. Der Pfarrer grüßt sie:

»Guten Abend, Frau Müller wie geht's?«

»Ach«, sagt sie, »guten Abend, Herr Pfarrer. Entschuldigen Sie, aber ich habe ganz wenig Zeit. Ich muss noch soviel besorgen, denn, wissen Sie, morgen kommen ja die Kinder aus Ungarn, die bei uns Ferien machen sollen. Und jetzt, wo ich Witwe bin, da habe ich mir gedacht: Ich kann mir ja auch so ein Ferienkind aus Ungarn nehmen. Ach, und dann machen wir es uns ganz schön. Dann fahren wir mal raus zum See und gehen spazieren, und ich gehe auch mal mit ihm in die Eisdiele. Und wissen Sie, Herr Pfarrer, ich weiß auch schon ganz genau, was für ein Kind ich mir wünsche. Es gibt da so süße kleine Jungen, so mit schwarzen Haaren und mit so großen schwarzen Kulleraugen, wissen Sie, so einen hätt' ich gerne. Und dann machen wir uns so richtig schöne drei Wochen. Also machen Sie's gut, Herr Pfarrer, ich muss schnell weiter.«

Zwei Tage später, als der Pfarrer wieder die Straße entlang kommt, trifft er Frau Müller, neben sich ein etwas hoch aufgeschossenes Mädchen, ungefähr 12 Jahre alt, die glatten blonden Haare etwas fettig und strähnig und mit ein paar Pickelchen im Gesicht. Und er sagt:

»Guten Tag zusammen.«

»Guten Tag, Herr Pfarrer,« sagt Frau Müller, »das hier ist Maria. - Maria sag dem Pfarrer guten Tag. - Ich hab' Ihnen ja erzählt, dass ich da so ein Urlaubskind aus Ungarn kriege. Na ja, da haben sie mir halt die Maria zugeteilt. Also, für den See ist es ja sowieso noch zu kalt. Aber sie kann ja mit den anderen Kindern spielen, und irgendwie werden die drei Wochen schon rumgehen - also bis dann, Herr Pfarrer.«

Die Enttäuschung ist Frau Müller förmlich ins Gesicht geschrieben. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.

Am nächsten Tag kommt der Pfarrer an der Eisdiele vorbei und traut seinen Augen nicht: Da sitzt Frau Müller mit der Maria, und beide lachen und schäkern und scheinen ein Herz und eine Seele zu sein. Und als Frau Müller den Pfarrer sieht, da klopft sie von innen gegen die Scheibe und winkt ihn herein. Dann sagt sie zu Maria:

»Du wolltest doch noch Postkarten kaufen, mein Kind, geh doch schon mal rüber an den Kiosk und lass Dir ruhig Zeit, ich muss dem Pfarrer gerade noch etwas erzählen. Und Sie, Herr Pfarrer, setzen Sie sich doch einen Augenblick zu mir.«

»Tja,« sagt der, »da bin ich aber gespannt. Ich merke schon, es ist ja alles ganz verändert.«

»Ja,« sagt Frau Müller, »also passen Sie auf, ich muss Ihnen das erzählen. Ich war nämlich gestern Abend noch mal bei der Einsatzleiterin von der Kinderverschickung, die wohnt nämlich bei uns um die Ecke. Und bei der hab' ich mich beschwert. Ich hab' ihr gesagt: ›Hören sie mal, warum haben Sie mir denn die Maria gegeben? Sie wussten doch, dass ich so einen süßen kleinen Jungen wollte, so mit schwarzen Haaren und mit großen Kulleraugen. Und es gab ja auch solche im Zug. Warum haben Sie mir dann ausgerechnet die Maria angedreht?‹ Da sagt die Einsatzleiterin zu mir: ›Passen Sie mal auf, Frau Müller das war so: Ich war ja mit den Kindern im Zug. Und als sich dann der Zug dem Bahnhof näherte, da guckten alle Kinder raus und sahen sich die Gasteltern an. Und da hat Maria auf Sie gezeigt und gesagt: ›Zu der Tante möchte ich.‹‹ Stellen Sie sich mal vor, Herr Pfarrer, die wollte zu mir! Ich meine, da warteten doch richtig junge Familien, und manche waren mit dem Auto vorgefahren, und eine hatte sogar ihren Hund mitgebracht. Und trotzdem wollte die Maria zu mir! Ja, und seit ich das weiß, habe ich sie richtig lieb.«

So weit die Geschichte. Ich finde die faszinierend und berührend. Aber was genau fasziniert und berührt? Und wo liegt die Verbindung zu Jesu Wort:

»Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er´s euch gebe.«

Aber das ist nicht so schwer, oder? Jesus erwählt mich, meint mich so sehr, so genau mich, wie hier in der Geschichte Maria Frau Müller. Jesus meint mich, genau mich. Damit ist alles gesagt. Was für eine Liebe! Was für ein Gefühl, so gemeint zu sein! Dass wir das glauben dürfen!

Amen.

 

(Die Anregung bekam ich von Sabine Löw. Auf Facebook gibt es eine Gruppe: Zentrum für evagnelische Predigtkultur, innerhalb kolaborativ Predigtvorbereitung betrieben wird. Dort hatte ich zum Entwurf zu dieser Predigt um Rückmeldungen und Anregungen gebeten: Liebe macht eure Freude vollkommen. Predigt zu Joh. 15,9-17 zwischen Lampedusa und Voerde - Die Geschichte passte da aber nicht und deshalb nun diese Predigt. - Danke, Sabine!

Die Geschichte selber stammt von Klaus Peter Hertzsch, zitiert bei Peter Bukowski, Predigt wahrnehmen. Dank an Kathrin Oxen für diesen Literaturhinweis!)